Wer die Ereignisse im Herzogtum nach 1670 verfolgt, der wird schnell merken, daß die Amalienburg tatsächlich kaum mehr als eine architektonische Kulisse im politischen Ränkespiel der Mächte darstellte, ebenso, wie die Heirat zwischen Christian Albrecht und Friederike Amalie keineswegs den Erfolg zeitigte, den man sich erhofft hatte. Friederikes eigener Bruder, König Christian V. von Dänemark, zwang 1675 seinen Schwager Christian Albrecht ins Exil nach Hamburg, aus dem er erst vier Jahre später auf Druck Frankreichs und Schwedens wieder zurückkehren konnte. Friederike Amalie, hin und hergezogen zwischen Ehemann und Bruder, stieß bei letzterem auf ebenso wenig Rücksichtnahme, wie dieser gegen ersteren walten ließ: auch sie mußte ihre Gemächer auf Gottorf verlassen[i]. Der Ratgeber und ‚Kuppler’ des Herzogs, Friedrich Christian Kielmann v. Kielmannseck wurde in Kopenhagen eingekerkert und starb in der Haft. Auch die weitere Regierungszeit Christian Albrechts war von erheblichen Repressionen durch Christian V. geprägt. Wenn also das kleine Lustschlößchen über dem Neuwerkgarten als Versöhnungszeichen zwischen Dänemark und Gottorf gedacht war, so hat es diese Aufgabe nie erfüllt. Bedenkt man dazu die leichte, bisweilen nachlässige und nur auf die äußere Wirkung bedachte Bauweise, so drängt sich der Verdacht auf, daß man auch auf Gottorf von dem Erfolg der ‚Vertrauenbildenden Maßnahmen’ keineswegs überzeugt war und entsprechend auch nicht mehr Geld als nötig in dieses Projekt stecken wollte, kurz: daß die Amalienburg sowieso nur als temporäres Dekorationsstück gedacht war.
Mit dem endgültigen Fall des Gottorfer Herzoghauses 1713 verlor auch die Amalienburg ihre Bedeutung. Über ihre Nutzung im 18. Jahrhundert ist nichts bekannt, außer daß das Lusthaus einen ständigen und lästigen Unkostenfaktor in den Rentekammerabrechnungen bildete. Bereits 1705 mußte man stirnrunzelnd feststellen: „Nach der Süderseiten ist das Bleÿ oben looß, wodurch der Regen nicht alleine die wandt, so von brettern, eingedrungen, sondern auch, da solchem nicht vor gekommen, die Schönen Schildereÿen leicht verderben können“[ii], und kaum drei Jahre später notierte Bauinspektor C. A. Thomsen, daß eines der Westfenster in den Pavillons „…die Macht des verzehrenden Südwesten windes hiesigen Landes sehr empfunden“ hatte[iii]. Überhaupt waren die leicht gebauten und exponierten Eckpavillons die größten Sorgenkinder, denn im gleichen Zeitraum drängte Thomsen auch auf eine völlige Erneuerung der offenbar schon sehr angegriffenen Emblemmalereien, wobei er drei Alternativen vorschlug: entweder Wände und Decken schlicht mit Gips zu putzen, oder nur die Decken zu gipsen „…und die Wande alfresco marberiren“ oder – als teuerste Möglichkeit – die Pavillons mit den alten Ledertapeten aus Mittelsaal auszukleiden und den Mittelsaal „…mit was neues zu beziehen worzu 400 Blätter erfordert würden“.[iv] Doch derartig aufwendige Erneuerungen wollte der damalige Administrator, der Lübecker Fürstbischof Christian August, „biß zukünfftiges Jahr“[v] verschieben – womit es dann sein Bewenden hatte. Die jährlich fälligen Reparaturen, die man dem Gebäude – möglicherweise aufgrund seiner prächtigen Ausstattung – gewährte, beschränkten sich also nur auf das Allernötigste und dokumentieren solcherart, wie der Verfall hier langsam, aber gründlich seinen Einzug hielt[vi].
Auf diese Weise hielt sich die Amalienburg noch erstaunlich lange, wobei die ständigen Ausbesserungen ihr Aussehen im Laufe der Zeit langsam veränderten: während das Gottorfer Bauinventar noch den Ursprungszustand festhält, berichtet bspw. Jürgensen nichts mehr von der eigenartigen Außenbemalung und erzählt zudem, daß die Innenwände sämtlich perlgrau gewesen seien – die Ledertapeten und die Emblemmalereien sind demnach zwischenzeitlich tatsächlich dem Verderben anheimgefallen und hatten entfernt werden müssen[vii]. Auch Stelzner hielt in seiner Gouachemalerei eine leicht veränderte Amalienburg fest: wohl sind die Backsteine hier deutlich zu erkennen, jedoch nicht mit der Diagonalteilung des 17. Jahrhunderts, und zudem zeigt das Erdgeschoß nun (aufgemalte?) Eckrustika, von denen wiederum weder Bauinventar, noch Bauzeichnung etwas berichten. Außerdem besaßen die Fensterscheiben das Format des beginnenden 19. Jahrhunderts.
Um 1800 war das Lusthaus für die fürstliche Hofhaltung längst bedeutungslos und, schlimmer noch, zu einer notorischen finanziellen Belastung geworden. Der dänische König ließ sich nur selten auf Gottorf blicken, und auch sein Statthalter, Landgraf Carl v. Hessen (1744 – 1836), der in Louisenlund residierte, war weder am Neuwerkgarten, noch an der Amalienburg interessiert. So wurde es möglich, daß eine andere Gesellschaftsschicht das heruntergekommene Lusthaus in seinen Besitz nahm: die Amalienburg avancierte zu einem beliebten sonntäglichen Ausflugsziel der Schleswiger Bürger – insbesondere, nachdem 1816 der Landgraf dem Gastwirt Morell und den Konditoren Brügger und Cantieny die Erlaubnis erteilt hatte, „…in dem Lusthause, Amalienburg, Erfrischungen aller Art feil halten zu dürfen“[viii]. Man kann sich gut vorstellen, daß der spektakuläre Blick über die Terrassenanlage des Neuwerkgartens viele Ausflügler anzog und daß der ramponierte Charme des Belvédères den Kaffeegästen reichlich Anregungen zu heiter-melancholischen Betrachtungen über das Einst und Jetzt lieferte. Am Ende seiner Zeit erhielt das nun 146 Jahre alte Gebäude noch einmal kurz seine ursprüngliche Aufgabe zurück - und wurde wieder zum Ort der Unterhaltung und Geselligkeit.
Doch diese Zeitspanne kam nur einer Galgenfrist gleich. Der bauliche Zustand der Amalienburg war nach hundert Jahren ständiger provisorischer Flickereien derart schlecht, daß das Café nach nur wenigen Jahren – sehr zum Bedauern der Schleswiger - seinen Betrieb wieder einstellen mußte[ix]. Der Wunsch, ihr beliebtes Ausflugsziel zu erhalten, blieb dementsprechend in den folgenden Jahren unter der Bevölkerung rege und fand schließlich auch bei Landgraf Carl ein offenes Ohr: 1822 beauftragte er den Bauinspektor Ludwig Christian Kreiser mit einer Untersuchung des Gebäudes zwecks neuerlicher Reparatur. Kreisers Gutachten war indes niederschmetternd. Er schrieb am 23. Oktober 1822, daß „…das in Rede stehende Gebäude so abgängig ist, daß an eine gewöhnliche Reparation gar nicht mehr zu denken ist, es müßte, wenn etwas hierbey vorgenommen werden soll, die ganze obere aus Fachwerk bestehende Etage dieser Gebäude [[x]] mit den darauf befindlichen 4 kleinen und einem großen Dach herunter genommen, nicht weniger der größte Theil der Grundmauern der 4 kleinen Neben Pavillons abgebrochen werden, so verfallen ist alles.“[xi] Wie wenig dem dänischen Königshaus bzw. seinem Statthalter das Haus persönlich am Herzen lag, zeigt im übrigen die Bemerkung, „…daß mehr besagter Pavillon in den 18 Jahren wenigstens die ich hier in Schleswig bin von der hiesigen Hohen Herrschaft wenig oder gar nicht gebraucht worden ist.“ Die abschließende Frage Kreisers, „…in wie ferne überhaupt ein solcher Garten Pavillon nothwendig und nützlich ist“, lag damit auf der Hand.
Die ganze Angelegenheit wurde noch im selben Jahre dem jungen Bauconducteur und Architekten Wilhelm Friedrich Meyer (1799 – 1866) in die Hände gelegt[xii]. Dieser fertigte zwei Aufmaße der Amalienburg an[xiii] und versäumte es auch nicht, einen Entwurf beizulegen, der das Lusthaus (gemäß dem Vorschlag Kreisers) nach Abriß der vier Eckpavillons, des Obergeschosses und nach Aufsatz eines klassizistischen Flachdaches zeigte (Abb. 21). Wie unwohl Meyer selbst bei dieser jämmerlichen Verstümmelung war, zeigt uns sein Kommentar: „Ein einziger Blick auf diese Facade wird wohl hinreichen um ein Höchstpreißliches Kollegium davon zu überzeugen, daß ein solcher Kasten dem Garten eher zur Verunstaltung als zur Zierde gereichen werde.“[xiv] Man kann verstehen, daß dem höchstpreislichen Kollegium die Entscheidung hier nicht schwerfiel, und so blieb dem Neuwerkgarten – zumindest für die folgenden 182 Jahre – ein solcher Kasten erspart. Doch andererseits drang in der Baubehörde damit die auch Ansicht durch, daß die Amalienburg nicht mehr zu retten war.
Es half da gar nichts, daß sich der Schleswiger Gastwirt J. F. Lymkilde 1823 erbot, das Gebäude käuflich zu erwerben und die Renovierungskosten – gedeckt durch Aktieneinlagen Schleswiger Bürger (!) - selbst zu bezahlen[xv]. Im Gegenteil, noch im selben Jahre wurde Meyer damit beauftragt, die Ovensschen Gemälde, die durch eindringendes Regenwasser schwer gelitten hatten, aus der Amalienburg zu bergen und im Schloß unterzubringen, von wo sie nach Kopenhagen verbracht werden sollten[xvi]. Dem ruinösen Belvédère, das fortan nur noch ein Schatten seiner selbst war, verblieben noch drei Jahre – drei Jahre, in dem die Baubehörde das Für und Wider eines Ersatzbaus für die Amalienburg erörterte. Dabei war es kein Geringerer als der große klassizistische Baumeister Christian Frederik Hansen (1756 – 1845), der hierfür noch zwei Gartentempelentwürfe vorlegte[xvii]. Doch auch wenn diese Planungen und Diskussionen der Amalienburg selbst keinerlei Chancen mehr einräumten, so ist die architektonische und gartengestalterische Kompetenz der Kopenhagener Oberbaubehörde doch immerhin bemerkenswert, die hier ohne Rücksicht auf Kosten- oder Nutzungsfragen wie selbstverständlich davon ausging, daß eine so empfindliche Stelle wie der obere Abschluß des Neuwerkgartens einen point-de-vue zwingend erforderte.
Doch es ist hier nicht der Ort, weiter auf Hansens Vorschläge einzugehen, da dies bereits an anderer Stelle und von berufenerer Hand geschehen ist[xviii]. Außerdem wollte es das Schicksal anders: am 18. März 1826 kam König Frederik VI. allergnädigst zur Resolution, „…daß das Amalienburg genannte Gartenhaus im Neuwerksgarten zu Gottorf zum Abbrechen verkauft, und daß kein neuer Pavillon statt dessen ausgeführt werden soll; wohingegen Wir Unsere Rentekammer beauftragt haben wollen, daß der durch die Abbrechung des alten Gartenhauses ledig werdende Platz mit einer passenden hübschen Anlage bepflanzt werde.“[xix]
Wie sehr die Schleswiger jedoch an ihrer geliebten Amalienburg hingen, zeigt uns die Erwiderung des Gottorfer Amtshauses im April, das hier gewissermaßen in allerletzter Minute noch versuchte, den Abriß zu verhindern, indem es eine Sanierung durch Privatinitiative anregte[xx] – mit dem Argument, daß „…eine bedeutend größere Summe […] sich aus dem Gebäude nur dann [würde] haben lösen lassen, wenn das Abrechen desselben nicht beschlossen und der Verkauf des Hauses zum Eigenthum mit Zulegung eines, ohne Difformität des Neuwerksgartens füglich dazu zu legenden Gartenplatzes, als eine Luststelle oder Restauration behabt [?] worden wäre. Bei dem Verkaufe zu einem solchen Zweck würde es wohl nicht an Liebhabern gefehlt haben“[xxi]. Tatsächlich fiel denn auch der Ersteigerungserlös von 320 Reichstalern, mit dem der Schleswiger Maurermeister Jacobsen die Ruine erwarb, reichlich mager aus. Drei Monate später, im Juli 1826, war die Amalienburg – gemäß der Abbruchkonzession - spurlos beseitigt[xxii].
Der schöne Ovenssche Gemäldezyklus, einst dazu bestimmt, den Ruhm Friederike Amalies zu verkünden, dämmerte noch viele Jahre auf dem Schloß dahin – zu dem geplanten Abtransport nach Kopenhagen scheint es indes nie gekommen zu sein. Spätestens 1853 dann, als das restliche Gottorfer Inventar bei einer großen Verauktionierung unter den Hammer kam, verlieren sich auch diese Spuren der Amalienburg gänzlich und sind seitdem in alle Winde zerstoben[xxiii] - ein unrühmlicher Untergang eines im Wortsinne ‚ruhmvollen’ Gebäudes.
[Zeichnungen: Verf.]
- Anmerkungen -
[i] Friederike Amalie fand Zuflucht auf ihrem Gut Satrupholm, später im Schloß vor Husum. Warum sie ihrem Mann nicht nach Hamburg folgte, ist unbekannt; es mögen sowohl politische, als auch private Gründe dafür ausschlaggebend gewesen sein. Nach dem Tode Christian Albrechts nahm sie das Kieler Schloß als Witwensitz (Lohmeier 2006b u. Andersen 1934). [ii] LAS Abt. 7 Nr. 197, Gottorfer Möbelinventar v. 26. 2. 1705. [iii] Bauinventar, S. 630. [iv] LAS Abt. 7/187 No 6 - Bauetat für die Residenz Gottorf, aufgestellt von C. A. Thomsen am 16. 2. 1707. „alfresco marberiren“ = in Fresco marmorieren. [v] Ebd. Es ist in diesem Sinne ein Glück, daß die Reparaturen nie ausgeführt worden sind, denn so konnte das ein Jahr später (1708) aufgestellte Gottorfer Bauinventar uns noch den Ursprungszustand der Pavillons überliefern. [vi] Vergl. hierzu Paarmann 1984, der der hier das Schicksal der Amalienburg nach 1800 verfolgt und an dessen Aufsatz sich der Verfasser im Folgenden orientiert. Mein Dank geht an dieser Stelle an den Archivar Henrik Stissing Jensen/Reichsarchiv Kopenhagen, der mich auf diese Literaturquelle aufmerksam machte. [vii] Auch v. Koch berichtete bereits 1771, daß die vier Eckpavillons „ohne Gemählte“ gewesen seien, „…blos an der Decke oben halten die 4 Jahrs-Zeiten Friedrich deß Vierten Namen-Zug, in verschiedenen Vorstellungen“ (zitiert nach Schlee 1968, S. 15). Da das Bauinventar S. 636 an dieser Stelle keine Monogramme o. ä. erwähnt, dürften die Deckengemälde in den Pavillons zwischenzeitlich übermalt worden sein. [viii] Zitiert nach Paarmann 1984, S. 133. [ix] Dies geht aus einem am 1. 8. 1823 gestellten neuerlichen Konzessionsantrag des Schleswiger Gastwirts Lymkilde an den dänischen König hervor; zitiert in: Paarmann 1984, S. 133. [x] D. h., des Mittelbaus und der Eckpavillons. [xi] Reichsarchiv Kopenhagen, Tyske Rentekammer, I. Slesvigse Kontor E 24.1/ Akter vedr. Gottorp Slot II 1825 – ’29; auszugsweise auch zitiert in: Paarmann 1984, S. 133. [xii] Ebd., S. 134. [xiii] Reichsarchiv Kopenhagen, Tyske Rentekammer, I. Slesvigse Kontor E 24.1/ Akter vedr. Gottorp Slot II 1825 – ’29. Die Vorskizze und die Reinzeichnung; nur auf der Vorskizze zeigt er auch in einem Gebäudeschnitt die Konstruktion des Obergeschosses, während die Reinzeichnung auch die ‚sanierte’ Amalienburg zeigt. [xiv] Zitiert nach: Paarmann 1984, S. 134. [xv] Paarmann 1984, S. 133. [xvi] Paarmann 1984, S. 135. Die Bergung der Ovens-Gemälde zeigt, welcher Wertschätzung sich diese Kunstwerke seinerzeit immerhin noch erfreuten. Möglicherweise ließ die Kopenhagener Oberbaubehörde diese Aktion aber auch mit dem Hintergedanken durchführen, daß die Amalienburg fortan ihres größten Schatzes (man denke hier besonders an die für die Kaffeegäste sicherlich besonders interessanten Szenen aus der Satyrwelt!) beraubt war und somit für einen potentiellen privaten Käufer erheblich an Reiz verlor. [xvii] Zu den Hansenschen Entwürfen s. Paarmann 1984, S. 135 – 142. [xviii] Ebd. [xix] Zitiert nach: ebd., S. 141f. [xx] Man fühlt sich hier unwillkürlich an die denkmalpflegerischen Bemühungen unserer Tage erinnert! [xxi] Zitiert nach: Paarmann 1984, S. 143. [xxii] Ebd., S. 142. [xxiii] Schlee 1965, S. 70. u. Paarmann 1984, S. 135.