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GOTTORFER GLOBUS

Grundriß Erdgeschoß

Grundriß Obergeschoß
Grundraster

Schraffiert: Obergeschoß und Galerie

 

„…eine sehr artige Invention“

Fünf – im Grunde schon wohlbekannte – Literaturquellen und drei Bildquellen sind es, auf die sich die folgende Beschreibung und zeichnerische Darstellung der Amalienburg stützt: eine Erwähnung des Kieler Universitätsprofessors Samuel Reyher (1635 – 1714)[i], die akribische Beschreibung im großen, um 1708 entstandenen Gottorfer Bauinventar[ii], die Gottorfer Rentekammerrechnungen und die Beschreibungen der Schleswiger Chronisten Ulrich Petersen (1656 - 1735)[iii] und Johann Christian Jürgensen (1744 – 1825)[iv]. Bei den Bildquellen handelt es sich um eine ca. 1822 entstandene Gouachemalerei des aus Flensburg stammenden Miniaturisten Carl Ferdinand Stelzner[v], sowie – last but not least – um zwei maßstäbliche Bauzeichungen der Amalienburg aus der Hand des Architekten und Bauconducteurs Wilhelm Friedrich Meyer, die er im November 1823 anläßlich der damaligen Diskussionen um die Rettung dieses Gebäudes anfertigte[vi]. Die authentischsten Quellen sind unzweifelhaft das Bauinventar und die maßstäbliche Zeichnungen Meyers, wobei uns letztere hauptsächlich die Maße, Proportionen und die Konstruktion des Gebäudes überliefern, erstere aber das genaue Aussehen verrät.

Der Entwurf der Amalienburg hatte „…eine sehr artige Invention[vii]: der Grundriß sah einen zentralen, quadratischen Baukörper vor, der an allen vier Ecken von eingestellten, ebenfalls quadratischen Pavillons flankiert wurde, kurzum: das Lusthaus „…Praesentiret sich an allen seiten wie mit Bastionen an einer Fortification[viii]. Dabei bildete der Mittelbau – dies sei hier schon erwähnt - in seinem Inneren einen einzigen, großen, zweigeschossigen Saal, der bis in das Dach reichte. Aus diesem Saal führten nach allen vier Himmelsrichtungen Türen direkt in den Garten hinaus; allein an der Ostseite ging der Weg durch einen separaten, davorgestellten Treppenturm mit achteckigem Grundriß. Der Haupteingang wendete sich nach Süden, dem Neuwerkgarten und dem Schloß zu. Die Eckpavillons ließen sich nur von innen her betreten. Ihre Türen lagen in den Ecken des großen Mittelsaales. Alle Fenster sprangen außen leicht in flache Nischen zurück und besaßen innen schräg angeschnittene Laibungen.

Die strenge Symmetrie des Grundrisses setzte sich im Obergeschoß fort, wobei lediglich die Pavillons eine ‚echte’ Zweigeschossigkeit besaßen, da der Mittelsaal ja bis in das Dach hinaufreichte und hier also nur einen Luftraum bildete. Die auffällig dünnen Wände verraten, daß das obere Stockwerk eine reine Holzkonstruktion war, die sichtlich von statischen Erwägungen diktiert wurde – eine Frage, die weiter unten noch ausführlich behandelt werden soll. Die Pavillons trugen kleine, hölzerne Kabinette, die über schmale Galerien untereinander verbunden waren. Letztere lagen halb auf der Mauerkrone des Mittelbaus auf, halb kragten sie darüber hinaus und wurden dort von Konsolen gestützt. Die Galerien bzw. die Kabinette erreichte man über den Treppenturm.

Der Mittelbau maß 40 x 40 und die Pavillons maßen 20 x 20 Fuß; das Seitenlängenverhältnis Mittelbau – Pavillon betrug also 2 : 1. Die gesamte Grundfläche deckte (über die äußeren Pavillonecken gemessen) 65 x 65 Fuß ab. Auf den heute gültigen Meter umgerechnet, nahm die Amalienburg also eine Gesamtgrundfläche von 18,7 x 18,7 m ein; die Pavillons maßen außen 5,75 x 5,75 m und der große Mittelsaal 11,5 x 11,5 m. Eine eingehende Untersuchung ergab, daß die Bemessung des Grundrisses einem Quadratraster mit einer Maschenweite von 2½ Fuß folgte. In dieses Rastermaß fügten sich auch der Treppenturm, das Obergeschoß des Mittelsaales, die Galerie und – um eine halbe Modulbreite versetzt – die oberen Pavillonkabinette ein. Die kleinste Einheit innerhalb dieses Rasters war der Halbfuß; überwiegend strebte man jedoch danach, das volle Fußmaß einzuhalten, das auch mit dem Backsteinformat einherging[ix]. Die Verwendung einer Rasterplanung bei der Amalienburg mag auf den ersten Blick erstaunlich rationell-modern wirken, doch war eine solche Vorgehensweise seinerzeit schon lange bekannt und üblich[x].

[Zeichnungen: Verfasser.]

- Anmerkungen -

[i] Reyher 1693 S. 50ff. [ii] Bauinventar S. 626 – 638. [iii] Aufbewahrt im Schleswig-Holsteinischen Landesarchiv, Abt. 400.1 Nr. 512 IV , Teil I bereits transkribiert und herausgegeben von Hans Braunschweig und Reimer Pohl; hier: S. 866 § 32. [iv] Jürgensen 1822 (hier: S. 159ff). [v] Zu Stelzners Biographie vgl. Feddersen 1986, S. 111 - 118. [vi] Aufbewahrt im Rigsarkivet København, Tyske Rentekammer, I. Slesvigse Kontor E 24.2/Akter vedr. Gottorp Slot II 1825 – ’29. Ich danke an dieser Stelle Herrn Dr. Jan Drees, der mich auf diese Quelle aufmerksam machte und Herrn Archivar Henrik Stissing Jensen/Reichsarchiv Kopenhagen für seine freundliche Hilfsbereitschaft, mit der er mir Kopien dieser Bildquelle übersandte. Meyer zeichnete zwei Blätter, eine Vorzeichnung, die auch einen Querschnitt des Gebäudes zeigt sowie die Reinzeichnung, die nur den Fassadenriß und den Grundriß enthält. [vii] Bauinventar, S. 627. [viii] Ebd. [ix] Grundlage für die Rekonstruktion ist der Lübecker Fuß von 28,762 cm Länge, der im Herzogtum bis 1768 das gesetzliche Längenmaß war und den Meyer auch noch für seine Aufrisse („Holst. Maaß“) benutzte. Das auf Gottorf gebräuchliche Backsteinformat betrug entsprechend 7,8 · 14 · 28 cm, was drei Schichten auf den steigenden Fuß ausmacht (vergl. Lühning 1997, S. 38). [x] Vgl. Naredi-Rainer 1986, S. 117 – 137, der zeigt, daß schon im alten Ägypten Rasterpläne für Tempelanlagen u. ä.  benutzt wurden. Römische Siedlungen unterlagen ebenso Rastersystemen wie mittelalterliche Klosteranlagen. Insbesondere die Renaissance interessierte sich intensiv für das Raster- oder Modulsystem.