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Westportal der Amalienburg
| | | | Als Gesamtentwurf kommt die Amalienburg etwas baukastenhaft-addiert daher, und es ist aus verschiedenen Gründen schwer, zeitgenössische Vorbilder zu benennen. Zum einen verharrte die Architektur im deutschsprachigen Raum 1670 noch in einem eigenartigen Schwebezustand zwischen Renaissance und Barock; das „Teutsche Vatterlandt“ hatte nach den Verheerungen des 30jährigen Krieges noch nicht die Kraft zu neuen Lösungen und Maßstäben gefunden. Dies war erst ab 1700 der Fall. Die großen Entwicklungen fanden derzeit allein im Süden statt, wobei Frankreich die Führungsrolle übernahm – doch auch hier hatte die neue Barockbaukunst noch nicht jene Ausstrahlungskraft gewonnen, mit der sie später Deutschland maßgeblich beeinflußte. In der Bauzeichnung erscheint uns die Amalienburg – bar jeder Dekoration - als eine rein norddeutsch-nüchterne Architektur, doch wer die weiteren Bezüge verfolgt, der wird feststellen, daß die Ursprünge dieses Gebäudes eigentlich in der italienischen Renaissance wurzeln[i]. Das Motiv eines zentralen, von vier Ecktürmen flankierten Baukörpers wurde erstmals 1540 von Sebastiano Serlio mit der Villa Poggio Reale vorgestellt und von ihm später auch noch in zahlreichen Variationen durchgespielt. Entsprechend fand sein Entwurf in vielen zeitgenössischen Architekturtraktaten eine ausführliche Behandlung und bildete im 16. Jahrhundert den Idealtypus des symmetrisch aufgebauten, wehrhaften Adelspalais’. Es kommt also nicht von ungefähr, daß der Lokalchronist Ulrich Petersen das Lusthaus als „à l’Italiano in einer viereckigten Figur angelegt“[ii] charakterisierte, ebenso wie der Gottorfer Bauinspektor Christian Albrecht Thomsen die Amalienburg im Bauinventar als „…an allen seiten wie mit Bastionen an einer Fortification“[iii] beschrieb. Streng betrachtet, bleibt die Amalienburg also noch ganz dem 16. Jahrhundert verhaftet; auch der separate Treppenturm ist noch ein Relikt vergangener Zeiten. Zieht man vergleichbare Architekturen in Schleswig-Holstein heran, so findet man in dem 1584 erbauten und 1734 niedergelegten Schloß von Tönning eine ähnlich anmutende Gestalt wieder[iv]. Obwohl das Tönninger Schloß kaum als direktes Vorbild für das vergleichsweise kleine Lusthaus im Neuwerkgarten gedient haben kann, so zeigt die Amalienburg doch deutlich, welch eine nachhaltige Rolle dieser Idealentwurf hierzulande auch um 1670 immer noch spielte – so nachhaltig, daß er nun auch seinen Eingang in die verspielte Lustarchitektur fand[v]. Vielleicht kennzeichnet gerade dieser Schritt am deutlichsten die Stelle, an der Schleswig-Holstein in die Barockzeit eintrat. Doch ist dies nicht das einzige barocke Element in der Amalienburg. Auch ihre Konzeption als Zentralbau, dessen Mittelsaal überdies durch zwei Geschosse reichte – letzteres eine architektonische Lösung, die erstmals der Baumeister Elias Holl mit dem berühmten goldenen Saal im Augsburger Rathaus 1615 vorstellte[vi] - weist in eine neue Richtung. Eine weitere, wichtige Forderung der barocken Baukunst, die Steigerung der Wirkung auf ein Höchstmaß durch illusionäre Mittel, wird (wie weiter unten zu besprechen ist) auf wahrhaft verblüffende Weise erfüllt. Nicht zuletzt scheint die Amalienburg mit ihren zeltartigen Dachformen sogar schon die ‚indianischen’ oder ‚orientalischen’ Lusthäuser, die erst rund 60 Jahre später in Mode kamen, vorwegzunehmen[vii]. Man könnte behaupten, daß der Bau Amalienburg 1669 - ’72 in einem ‚barocken Niemandsland’ stattfand, und wir dürfen sie durchaus als eigenständige Gottorfer „Invention“ betrachten. Der Weg zur Lüftung des Rätsels um diesen ambivalenten Entwurf und seine möglichen Vorbilder führt – wieder einmal – über die Gottorfer Rentekammerrechnungen. Der Baumeister des Lusthauses war - ein Schleswiger Zimmermeister. Er hieß Frederik Tamsen, und er erhielt am 3. Februar 1669 „…für ein Modell Zum Lusthause aufm Newenwercke Zuverfertigen“ 3 Reichstaler ausgezahlt[viii]. Die Amalienburg war also die originäre Leistung eines schlichten Handwerkers, dessen sonstige Tätigkeiten auf Gottorf (bspw. das Verlegen von Dielenböden im Kornhaus, die Herstellung von Fensterluken oder die Reparatur von Plankwerk im Neuwerkgarten) nichts von der gestalterischen Schöpferkraft ahnen lassen, die diesem Manne innewohnte - gelang es ihm hier doch, gewissermaßen aus dem Nichts ein Bauwerk zu entwerfen, dessen Proportionierung zumindest anspruchsvoll war und dessen Konzeption eigentlich das Prädikat ‚richtungsweisend’ verdiente[ix]. Bei der gewiß nicht besonders umfassenden Vorbildung ihres Baumeisters kann es jedoch kaum verwundern, wenn der Entwurf der Amalienburg – ex ungue leonem - natürlich auch einige Schwächen zeigt[x]. Das Festhalten an einem überkommenen und beliebten Motiv verrät den soliden Handwerker, der mit ruhiger Sicherheit auf Beliebtes und Bewährtes zurückgriff, ohne den Ehrgeiz entwickeln zu wollen, etwas grundsätzlich Neues zu schaffen. Das daraus resultierende Baukastenartige des Entwurfs wurde bereits moniert, und es mögen in diesem Sinne auch die bunt zusammengewürfelten Maßverhältnisse in der Fassade ein Indiz dafür sein, daß Tamsen hier zwar alle seine Kenntnisse einmal unter Beweis stellen wollte, ohne daß es ihm jedoch gelang, diese einer großen Linie unterzuordnen. Überdies fehlen dem Lusthaus alle ‚lebendigen’ Nutzräume (bspw. Küche und Schlafgemächer), die ihm einen etwas wohnlicheren Charakter verliehen hätten[xi]; eine Heizmöglichkeit war ebenfalls nirgendwo vorhanden. Es steht allein die Dekoration im Vordergrund - fast wirkt die Amalienburg eigentümlich hohl und sinnentleert. In der Tat ließ ihre Ausstattung nur eine einzige Funktion zu, und die bestand in der Verherrlichung der dänischen Prinzessin. So betrachtet, bildete sie innen und außen nichts weiter als eine architektonische Hülle von nahezu nüchternem Aussehen, die nur durch ihre spektakuläre dekorative Ausstattung lebte. Die Bauzeichnung verrät nichts von dem Glanz, den das Gebäude zu bieten hatte. Erst demjenigen, der das Bauinventar aufmerksam durchliest, wird die Amalienburg als geradezu irritierende Architektur erscheinen, die – ganz ihren Zweck in sich selber tragend – als ‚l’art pour l’art’ den Neuwerkgarten im Wortsinne bekrönte. Hauptursache für diesen Eindruck war die erstaunliche Prachtentfaltung in jedem Gebäudedetail, welche die Architektur dieses Lusthauses vergleichsweise schlicht erscheinen läßt. [Zeichnung: Verfasser.]
- Anmerkungen - [i] Vgl. Albrecht 1991, S. 28f, der hier auch erstmals einen Bezug zur Amalienburg herstellte. [ii] Petersen 1720, S. 866 § 32. [iii] Bauinventar, S. 627. Notabene: auch die Festungsanlage der Gottorfer Schloßinsel besaß die gleiche Gestalt. [iv] Zum Tönninger Schloß vgl. Lafrenz 1987, S. 91 – 94, der hier auch das direkte Vorbild für das Tönninger Schloß (die Villa Poggio Reale bei Neapel) nachweist u. Albrecht 1991, der weitere Bezüge dieses Idealtyps aufzeigt. So finden wir einen ähnlichen Grundriß bspw. auch in der ursprünglichen Gestalt des 1597 errichteten Herrenhauses Damp (Albrecht 1991, S. 24f). [v] Auch in dem flüchtigsten und vergänglichsten Bereich barocker Lustarchitektur war dieser Gebäudetyp schon länger gebräuchlich: als künstliche Feuerwerksaufbauten besaßen Schloßattrappen mit vier Ecktürmen bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts große Beliebtheit (vgl. Sievernich 1987, insbes. S. 48 – 79). [vi] Das Augsburger Rathaus wurde 1620 fertiggestellt; die Arbeiten am Goldenen Saal konnten indes erst 1643 abgeschlossen werden. Der Saal wurde 1945 vollkommen zerstört und 1997 minutiös rekonstruiert. [vii] Christian Albrecht Thomsen müssen die Dächer ebenfalls schon fremd erschienen sein, denn er spricht im Bauinventar auf S. 631 davon, daß sie „nach proportionierter höhe der Itälienischen Manier“ ausgeführt waren. [viii] LAS Abt. 7 Nr. 2343, Rentekammerabrechnung für 1669. Damit läßt sich auch der Baubeginn (Frühjahr 1669) relativ gut einkreisen. Der Betrag, der Tamsen ausgezahlt wurde, zeigt, daß es sich nur um ein kleines Modell gehandelt haben kann. Mein Dank geht an dieser Stelle an Frau Dr. F. Lühning, die mir diese und weitere Fundstellen in den Rentekammerrechnungen eröffnete. [ix] Es ist – gemessen an den Gepflogenheiten des Bauwesens im 17. Jahrhundert – unwahrscheinlich, daß jemand anderes als Tamsen den Entwurf für die Amalienburg geliefert haben sollte (etwa der Gottorfer Hofmaler und Bauinspektor Johann Müller), da es stets der Baumeister selber war, der – nicht zuletzt auch zum Beweis seiner Fachkenntnisse – das Modell zu seinem Riß anfertigte. Auf Gottorf scheint man überhaupt (und nicht zum Nachteil!) ‚regionale Lösungen’ bevorzugt zu haben, stammte doch der Entwurf des barocken Südfügels des Schlosses nachweislich von dem Landbaumeister Johann Hinrich Böhm, über dessen weiteres Œuvre ebenfalls nichts bekannt ist (vgl. Wiesinger 1997, S. 190). [x] Möglicherweise kannte Tamsen die gängigen Architekturtraktate, die in der Gottorfer Hofbibliothek standen. [xi] Im Globushaus waren solche Räume durchaus noch vorhanden, vgl. Lühning 1997, S. 22 – 25. |
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